EINLEITUNG

Diese Arbeit wird den 1. Abschnitt des Quines Aufsatz Two dogmas of empiricism mit dem Titel Background of analyticity diskutieren.

Das Thema ist der Begriff der Analytizität und die damit verbundenen Begriffen, die sowohl die philosophische Tradition als auch die gegenwärtige logische Forschung, für Quine in Rudolf Carnap verkörpert, eingeführt haben.

Die Analyse des Analytizitätsbegriffs enthüllt manche Schwierigkeiten, die ihn fragwürdig machen.

Quine zeigt, dass bei der Untersuchung des Analytizitätsbegriffs nur eine Verschiebung zu anderen Begriffen stattfindet, die selbst sehr unklar sind. Diese sind Begriffe wie Bedeutung, Selbstkontradiktion, Synonymie, u.a..

Mein Textskommentar zeigt jene Fragwürdigkeit des Analytizitätsbegriffs und auf allgemeine Weise, da ich nur auf Grund des  obengennanten Abschnitts urteile, gibt der Argumentation Quines die Zustimmung.

Die Kritik Richard Martins gegen Quine wegen Inkonsequenz bei der Behandlung des Analytizitätsbegriffs in Bezug auf die Wahrheit springt ausserhalb unseres Abschnitts, ich habe sie aber erwähnt, weil Quine seine im Abschnitt verborgene argumentative Absicht ausdrücklich macht.

 

 

     

HINTERGRUND DER ANALYTIZITÄT

Als Einführung für den ganzen Aufsatz behauptet Quine, dass der Empirismus bis dahin auf zwei Dogmen aufgebaut hat. Einerseits auf die Einteilung der Sätze in analytische und synthetische, wobei die ersten ganz und gar nur von Bedeutungen der Termini abhängen, während die zweiten auf eine konkreten Erfahrung beruhen. Andererseits auf den Reduktionismus, das heisst der Glaube an die Äquivalenz von jedem sinnvollen Satz mit einer logischen Form, die eine unmittelbare Beziehung mit der konkreten Erfahrung hat.

Quine will zeigen, dass beide Dogmen schlecht begründet sind. Als Folge einer Aufgabe dieser Dogmen, glaubt er, dass die Grenze zwischen Metaphysik und Naturwissenschaft verwischt. In einer anderen Richtung sieht er einen Durchgang zum Pragmatismus.

Quine fängt mit einer geschichtlichen Erwägung an.  Er setzt die traditionelle Linie von Hume bis Kant in Bezug auf die obengenannte Einteilung der Sätze und auf den Analytizitätsbegriff, um zu zeigen, dass es Schwierigkeiten stecken, die eine Untersuchung verlangen Diese Untersuchung führt erstens vom Analytizitätsbegriff bis dem der Selbstkontradiktion und keine Lösung wird dabei gefunden. Und zweitens bis zum Bedeutungsbegriff, womit die Untersuchung von neuem anfängt.

In der Tat, unterscheidet Hume schon zwischen ‚relation of ideas’ und  ‚matters of fact’[1] , was bei Leibniz ‚gedankliche Wahrheiten’ und ‚Tatsachenwahrheiten’ wird.  Bei Leibniz werden die Wahrheiten des Denkens in jeder möglichen Welt wahr sein, das heisst, die Wahrheiten des Verstandes sind so beschaffen, dass sie nicht falsch sein können.

Analog wird es gesagt, dass analytische Sätze diejenigen sind, derer Verneinung widersprüchlich ist.  Diese Abklärung der Analytizität deutet nichts und führt nur zum Widerspruchsbegriff, der selbst Abklärung bedürftig ist.  Quine sagt, “the two notions are the two sides of a single dubious coin.”[2]

Quine führt es weiter und sagt, dass Kant den analytischen Satz als einer verstand, dessen Prädikat vom Subjekt nichts anderes aussagt als das, was schon im Begriff des Subjekts enthalten ist. Das berühmte Beispiel Kants eines analytischen Satzes ist: ‚Alle Körper sind ausgedehnt’. Die ‚Ausdehnung’ sei schon im Körperbegriff enthalten, wobei wir nur durch unsere Vorstellungskraft zum solchen Urteil gekommen sind.

Quine kritisiert diese Formulierung Kants wegen ihrer Beschränkung auf Sätze der Form Subjekt-Prädikat[3], die beliebste Form der logischen Tradition seit Aristoteles.  Nicht nur deswegen aber weist Quine sie zurück.  Diese Formulierung bleibt nur auf einem metaphorischen Niveau wegen des Gebrauchs des Wortes ‚enthalten’ (‚Inhalt’).

Ein Satz wird analytisch, wenn er nur dank der Bedeutung seiner Begriffe und unabhängig von der konkreten Erfahrung wahr ist.  Diese Formulierung setzt den Bedeutungsbegriff voraus, der dann zur Untersuchung gestellt werden soll.

Quine versucht also anschliessend den Bedeutungsbegriff zu verdeutlichen, indem er ihn von dem des Bezugs unterscheidet. Er will den Unterschied zwischen Bedeutung und Bezug in jedem Bereich festlegen, um zu zeigen, dass das Objekt einer Theorie der Bedeutung nirgendswo vorhanden ist.  Quine weist darauf hin, dass die Beschäftigung einer Theorie der Bedeutung das Studium der synonymischen Formen ist.  Im Text wird dieser Schluss nicht erklärt, aber wie Quine selber sagt, es ist ein kurzer Schritt bis dahin.  In der Tat, ist das wichtigste über die Bedeutungen ihre Gleichkeit, das heisst die Synonymie.[4]

Bedeutung und Bezug sind also verschieden. Dies wird klar aus dem Fregeschen Beispiel über den ‚Morgenstern’ und den ‚Abendstern’. Beide Ausdrücke benennen ein einziges Objekt, nämlich den Planet Venus, aber sie haben verschiedene Bedeutung. Analog bedient sich Quine vom Beispiel Russells, über ‚Scott’ und ‚der Autor von Waverly’.  Quine sagt: „...terms can name the same thing but differ in meaning".[5] Im Bereich des Abstrakten gilt dieser Unterschied auch.  Quine sagt: “the terms ‘9’ and ‘the number of the planets’ name one and same abstract entity but presumably must be regarded as unlike in meaning; for astronomical observation was needed, and not mere reflection on meanings, to determine the sameness of the entity in question.”[6]

Man kann hinzufügen, dass die quantitative Anwendung der Zahl 9, bei der Zählung der Planeten, anders ist als der qualitative Begriff der Äquivalenzklasse, der allen Mengen mit neun Elemente mit der Zahl 9 gleichstellt.

Quine betont einen Unterschied zwischen den Operationen, die für die Bestimmung der Gleichheit von ‚9’ und ‚die Zahl der Planeten’ nötig sind. ‚Die Zahl der Planeten’ kann nur nach einer wissenschaftlichen Beobachtung bestimmt werden. Der Begriff  ‚9’ kann aber a priori auf verschiedene Weise definiert werden.  Obwohl hier der Begriff quantitativ gemeint wird, ist die Art und Weise der Objekten (Zahlen), die zu zählen sind, anders als die physischen Objekte der Welt.

So ist die Situation in Beziehung auf die singulären konkreten und abstrakten Termini. Quine sagt: “with general terms, or predicates the situation is somewhat difierent but parallel.”[7]

In der Tat benennt ein singulärer Terminus ein konkretes oder abstraktes Objekt, er ist der Name eines Individuums. Ein genereller Terminus dagegen nicht. Dieser kann aber von einem, von jedem oder von keinem Individuums einer Gruppe war sein. Die Klasse der Individuen, die einen generellen Terminus wahr machen, heisst die Extension jenes Terminus.

Der obengenannte Parallelismus wird klar, indem man die Bedeutung und die Extension eines generellen Terminus vergleicht. „The general Terms ‚creature with a heart’ and ‚creature with kidneys’, for example, are perhaps alike in extension but unlike in meaning.” [8]

Ich füge ein analoges Beispiel im Bereich des Abstrakten hinzu, nämlich ‚die natürlichen Zahlen’ und ‚die positive ganzen Zahlen’. Die Extension dieser generellen Termini ist dieselbe, aber die Bedeutung ist wahrscheinlich anders. 

Die Tradition hat jedenfalls schon die Begriffe Extension und Intension oder Bedeutung entgegengesetzt. Auf moderne Weise spricht man von Connotation und Denotation. Die Verwechselung von Bedeutung und Bezug ist gewöhnlicherer im Bereich der singulären Termini, vielleicht wegen ihrer unmittelbaren Beziehung mit der konkreten Welt.

Nach Quine war der aristotelische Wesensbegriff (essence) derjenige, der den modernen Begriff von Intension oder Bedeutung beeinflusst hat.  Das moderne Denken sei irgendwie von einem Substantialismus geprägt. Den Unterschied zwischen Substanz und Akzidens kann man im Gebrauch der Subjekt-Prädikat Form beobachten, die eine Neigung zu einer Wirklichkeitsfassung zeigt, die das Subjekt des Satzes als Substanz empfindet, wobei die Arbeit der menschlichen Intelligenz die Bestimmung des akzidentalen bzw. wesentlichen Prädikaten eines Subjekts ist. „For Aristotle it was essential in men to be rational, accidental to be two-legged.”[9] Es geht hier um die Auswahl der wesentlichen Eigenschaften eines Individuums.  Es geht um eine Definition. Man kann schon dabei vermuten, dass Vieles davon abhängt, was für einen Standpunkt wir nehmen. “…it may indeed be conceded (if only for the sake of argument) that rationality is involved in the meaning of the word ‘man’ while ‘two leggedness’ is not; but twoleggedness may at same time be viewed as involved in the meaning of ‘biped’ while rationality is not.  Thus from a point of view of the doctrine of meaning it makes no sense to say of the actual individual, who is at once a man and a biped, that his rationality is essential and his two-leggedness accidental or vice versa.” [10]

Für Aristoteles ist das Individuum Substanz, das heisst, es hat Wesen. Nur linguistische Formen aber haben eine Bedeutung. Das Wesen wird eine Bedeutung, wenn man es vom Ding durch Abstraktion trennt und es mit einem Wort in Verbindung stellt. In der Tat ist die Kugelförmigkeit das Wesen eines spherischen Dings. Die Bedeutung der Kugelförmigkeit erkennt man aber erst, wenn man diese Form (die Kugelförmigkeit) von den verschiedenen kugelförmigen Individuen durch Abstraktion trennt.[11]

Bis jetzt wurde nur das gesagt, was eine Bedeutung nicht ist, nämlich sie ist nicht der Bezug, sie steht in Kontrast mit konkreten oder abstrakten Individuen und sie wird nicht mit der Extension eines generellen Terminus zu verwechseln. 

Was ist denn eine Bedeutung?

Sie ist nicht eine Entität. Es ist durch die Verwechselung von Bedeutung und Bezug (bzw.  Reference) zu dieser Vorstellung gekommen.  Die Trennung und der Unterschied zwischen Bedeutung und Bezug (Reference), die Trennung einer Bedeutungstheorie von einer des Bezugs lässt uns sehen, da das Wichtigste die Bestimmung der Begriffsfamilien gleicher Bedeutung wird, dass die Beschäftigung einer Bedeutungstheorie die Synonymie linguistischer Formen und die Analytizität der Sätze ist.  Aber “ ... meanings themselves, as obscure intermediary entities, may well be abandoned.”[12] Das Objekt einer Bedeutungstheorie wird also nicht die Bedeutung, sondern die synonymische Formen, also die Klasse der Begriffe gleicher Bedeutung. Und da analytische Sätze diejenigen sind, die nur auf Grund einer Bedeutungsbeziehung wahr sind, wird eine Bedeutungstheorie auch sie studieren.  Die analytischen Sätze sind von zwei Arten: die sogenannten logisch wahren, die man durch das Beispiel Quines:

1)Kein unverheirateter Mann ist verheiratet

darstellt und diejenigen, die man es durch das Beispiel

2) Kein Junggeselle ist verheiratet

tut.

Der Satz 1) wird nach jeder beliebigen neuen Interpretation von ‚Mann’ und ‚verheiratet’ wahr bleiben. Wenn wir eine genügende Menge von logischen Partikeln voraussetzen, solche wie ‚nein’, ‚un’, ‚nicht’, ‚wenn’, ‚dann’, ‚und’, usw., „...a logical truth is a statement which is true and remains true under all reinterpretations of ist components other than the logical particles.“[13]

Eine neue Interpretation der Satzkomponenten meint eine Veränderung der nicht logischen Wörter. In diesem Sinne können wir in l) z.B. „Kein unmenschliches Wesen ist menschlich“ schreiben, ohne die Struktur von 1) zu verändem. Die Wahrheit des Satzes scheint hier von der Bedeutung der logischen Partikel ‚un’ abzuhängen.  Nachdem sie festgesetzt, dann wird es gleichgültig sein, was für eine neue Begriffsinterpretation eingesetzt wird.

Der Fall des Satzes 2) erlaubt uns es in 1) überzuführen, indem wir Synonym durch

Synonym ersetzen. In der Tat ersetzen wir in 2) ‚Junggeselle’ durch sein Synonym ‚unverheirateter Mann’, und wir bekommen 1) Kein unverheirateter Mann ist verheiratet.

Quine sagt, dass es keine bessere Charakterisierung dieser letzten Satzart gibt, was nicht nur die allgemeine Fassung der Analytizität betrifft, sondern die Untersuchung zur Synonymie verschiebt, „...which is no less in need of clarification than analyticity itself.“[14] Das heisst, dass die Argumentation sich im Kreis bewegt, ein klares Fragwürdigkeitszeichen für die untersuchten Begriffe.  Quine erwähnt Carnaps Lösung[15] zum Analytizitätsproblem, das heisst das Problem ihrer Definition ohne irgendwelche Unklarheiten oder Teufelkreis.

Nach Carnap wird das Problem, durch die Einführung von Zustandsbeschreibungen (state descriptions) gelöst. Das heisst eine vollständige Angabe von Wahrheitswerte für alle atomischen Sätze der Sprache, so dass jede anderen komplexen Sätze der Sprache auf jene, durch die gewöhnlich logische Vorrichtungen (Funktoren, Quantoren, usw.) gebaut werden können, und so, dass alle komplexen Sätze der Sprache ein festes Wahrheitswert haben, bei jeder Zustandsbeschreibung durch vorgegebene logische Regeln.[16] Analytisch heisst also für jede Zustandsbeschreibung wahr zu sein.

Quine scheint all dies nur eine Wiederholung des Leibnizschen ‚wahr in jeder möglichen Welt’ zu sein. Nach ihm gilt diese Lösung nur wenn die atomischen Sätze der Sprache unabhängig voneinander sind und nicht wie bei ‚John ist ein Junggeselle’ und ‚John ist verheiratet’. In der Tat ist es eine Zustandsbeschreibung zu finden bei der sowohl ‚John ist ein Junggeselle’ als auch ‚John ist verheiratet’ wahr sein können und daher der Satz ‚Kein Junggeselle ist verheiratet’ mehr synthetisch als analytisch wird.  Ich kann die Situation symbolisch darstellen.  ‚John ist ein Junggeselle’ kann einfach als ‚Ja’ geschrieben werden, wobei J ist das Prádikat ‚Junggeselle’ und a ist ‚John’. Analog für ‚John ist verheiratet’ schreiben wir ‚Va’, wobei V symbolisiert das Prädikat ‚verheiratet’ und a, ‚John’. Da für irgendeine Zustandsbeschreibung i) ‚Ja’ und ii) ‚Va’ wahr sein können, wird auch iii) ‚Ja Ù Va’ wahr sein (Konj., i), ii)). Daher haben wir den Schluss ($x)(Jx Ù Vx) (+$, iii)), das heisst ‚es gibt Etwas, das Junggeselle und verheiratet ist’. Daher wird für diese Zustandsbeschreibung der Satz ¬($x)(Jx Ù Vx), das heisst ‚es gibt nicht Etwas, das Junggeselle und verheiratet ist’, bzw. ‚kein Junggeselle ist verheiratet’ falsch sein.

Das Kriterium der Zustandsbeschreibung für analytische Sätze im ersten Sinn arbeitet also gut nur in einer Sprache, die ausserlogischen Begriffspaaren wie ‚Junggeselle’ und ‚verheiratet’ nicht enthält, Synonympaaren also, die zum zweiten Typus der analytischen Sätze führen, das heisst zum 2) Kein Junggeselle ist verheiratet.

Nach Quine ist dieses Kriterium der Zustandsbeschreibung viel mehr ein Aufbau der logischen Wahrheiten als eine Lösung des Analytizitätsproblems.  Es wird sogar an diesem Punkt ungelöst bleiben, weil man, wie es schon gesagt wurde, aus 2) nur eine Verschiebung des Problems zur Synonymie gewinnt, die selbst so viel Abklärung wie die Analytizität braucht.

Wir können die Argumentation hier abbrechen, denn es wurde gezeigt, dass die Untersuchung des Analytizitätsbegriffs sich im Kreis bewegt und einen neuen Anfang für die Diskussion verlangt.  Ausserdem ist Quine in der Situation, eine eigene Lösung zu versuchen, nachdem er zeigte, dass Carnap und mit ihm die mathematischen Logiker, beim Versuch den Analytizitätsbegriff zu definíeren, versagt.

Ich wollte meinerseits nur die Fragwürdigkeit zeigen, die den Analytizitätsbegriff umgibt. Ich glaube, dass die Argumentation bis hier dieses Ziel erreicht

 

[1] Vgl. David Hume, Eine Untersuchungüber den menschlichen Verstand, Reclam, 5489 [3], 1967, vierter Abschnitt, erster Teil, S. 41

[2]  W. V. O. Quine, Two dogmas…, S. 20 Infra

[3] Ein analytischer Satz, der keine Subjekt-Prädikat Form hat,  lautet: Hab Ú ØHab, wobei H sei  ‚helfen’, a sei ‚Peter’ und b ‚Sofia’. Der Satz wird also ‚Peter hilf Sofia oder Peter hilft Sofia nicht’.

[4] Vgl. W. V. O. Quine, The pursuit of truth, S. 52

[5] W. V. O. Quine, Two dogmas…, S. 21

[6] Ibidem S. 21

[7] Ibidem S. 21

[8] Ibidem S. 21

[9] Ibidem S. 22 Supra

[10] Ibidem S. 22

[11] Vgl. Aristoteles, Metaphysik, Bücher 1., 8., 12.

[12] W. V. O. Quine, Two dogmas…, S. 22

[13] Ibidem S. 22 Infra, S. 23 Supra

[14] Ibidem S. 23

[15] Vgl. W. V. O. Quine, Two dogmas…, S. 23

[16] Vgl. Rudolf Carnap, Meaning and Necessity, S. 9 Supra

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KOMMENTAR 

Ich glaube, dass der 1. Abschnitt, den wir diskutieren, eine argumentative Einheit darstellt, wegen seiner Absicht, die fragwürdige Art des Analytizitätsbegriffs zu zeigen. Es scheint mir auch richtig, die traditionelle Begriffe, die als selbstverständlich klar betrachtet wurden zu diskutieren und alle andere dabei involvierten Begriffe zu Untersuchung zu stellen.  Es ist nicht schwierig zu sehen, dass bei einer Untersuchung die Begriffsverschiebung oder die Abklärung eines Begriffs durch andere Begriffe, die nur eine Bedeutungsverschiebung meinen, sehr leicht in einen Teufelskreis geraten, Situation, die die Abklärung des Analytizitätsbegriffs sehr gut darstellt.

Quines Argumentation scheint folgendes zu verlangen: die Abklärung eines Begriffs S erlaubt kein Gebrauch von anderen Begriffen, die zuvor abgeklärt werden sollen.  Das ist genau die Situation, wenn wir den Analytizitätsbegriff durch den Widerspruch oder den Bedeutungsbegriff abklären.  Die Untersuchung des Analytizitätsbegriffs führt zu anderen Begriffen, die selbst so unklar wie die Analytizität sind.

Die Begriffe, die bei der Untersuchung der Analytizität vorkommen, bilden eine Familie, nämlich ‚analytisch’, ‚Bedeutung’, ‚Synonymie’, ‚Notwendigkeit’, ‚Widerspruch’, u. a.. Alle fragwürdige Begriffe.

Wenn der Begriff S in einer Sprache L abgeklärt wird, soll man eine Methode haben, um diese Abklärung in anderen Sprachen ausdrücken zu können. Mit anderen Worten, es geht um eine Definition von S in einer Sprache L für veränderliches L. Quines Kritik fordert also die Angabe einer Eigenschaft, die alle analytischen Sätze sprachunabhängig auszeichnet.

Ausserdem sollten in L klare Angaben eingeführt werden, um die analytischen Sätze in L von allen anderen in L nicht zutreffenden Sätzen zu unterscheiden. Mit anderen Worten, verlangt Quine ein Unterschiedskriterium für analytische Sätze in einer Sprache L; er will unterscheiden können, wann und welche Sätze in jeder Sprache L analytisch sind.

Darauf beruht also Quines Kritik gegen Carnap. Wenn wir wissen, dass ein Satz analytisch in einer Sprache L ist, wissen wir aber deswegen nicht, welche Sätze analytisch oder nicht analytisch in einer anderen Sprache L sind.  Eine Definition des Analytizitätsbegriffs, die auf jeder Sprache anwendbar wäre, würde die Angabe einer gemeinsamen Eingenschaft fiir alle zutreffenden Sätze der Sprache bedeuten.  An der Lösung Carnaps durch die Einführung von Zustandsbeschreibungen fehlt aber ein wichtiges Element der gewöhnlichen Sprache, nämlich die Zeitlichkeit.  Zwei Sätze wie ‚John ist Junggeselle’ und ‚John ist verheiratet’ stehen nicht einfach in Widerspruch.  John war vor drei Monaten ein Junggeselle; heute ist er ein verheirateter Mann. Kein Widerspruch. Es ist also klar, dass die Sätze der Sprache Carnaps wahr oder falsch bleiben, unabhängig von irgendeiner konkreten Erfahrung. Wir haben schon gesehen, wie man ein seltsames Resultat bekommt, sobald man das Kriterium der Zustandsbeschreibung über voneinander abhängige Sätze anwendet.  Quine kritisiert den Aufbau einer solchen Sprache, die nur mit voneinander unabhängigen Sätzen gut funktioniert.

Es soll aber gesagt werden, dass bei Carnap die Negationen aller Sätze der Sprache beim Aufbau der logischen Wahrheiten wiederaufgenommen werden, denn der Satz ‚Pa’ kann bei einigen Zustandsbeschreibungen wahr sein; bei allen anderen aber, ‚¬Pa’. Und daher wird die Alternation ‚Pa v ¬Pa’ für jede Zustandsbeschreibung wahr sein, und daher logisch wahr. Ein Satz und seine Negation gehören aber zu verschiedenen Klassen.

Wir haben gesagt, dass wir nur auf Grund des Inhalts des 1. Abschnitts Quines Verlangen einer Untersuchung des Analytizitätsbegriffs schliessen werden. Wo es für Quine Schwierigkeiten gibt, gab es für die Tradition keine.  Dieser Anspruch Quines wird von Richard Martin kritisiert. Dieser sagt: …”it seemed to me puzzling why for semantical concepts like analyticity or synonymy the definition of a corresponding empirical, pragmatical concept is required, while for other semantical concepts like truth, the name-relation, an the like, a requirement of this kind is not made.”[1]

Quine wird also von Martin wegen Inkonsequenz kritisiert. Martin denkt, dass Quine mit dem Begriff der Wahrheit anders als mit dem der Analytizität vorgeht.  In diesem Zusammenhang sagt Quine: “No term, of course, is definable except in other terms; and the urgency of the demand for definition is proporcional to the obscurity of the term.”[2]

Quine glaubt also, dass der Begriff der Wahrheit im Unterschied zu dem der Analytizität nicht so undeutig ist.

Quine sagt: “Attribution of truth in particular to ‘Snow is white’, for example, is every bit as clear to us as attribution of whiteness to snow.“[3] Dies zeigt eine Verbindung zwischen dem Begriff der Wahrheit und der konkreten Erfahrung.  Quines Verteidigung gegenüber Martins Kritik beruht auf die Idee, „... dass der Begriff der Analytizität im Unterschied zu dem der Wahrheit nicht empirisch verankert werden kann...“[4]

 

[1] Richard Martin, On Analitic, Philosophical Studies 3, 1952, S. 42 - 47

[2] W. V. O. Quine, From a logical point of view, S. 138

[3] Ibidem S. 138

[4] Ralf Naumann, Das Realismusproblem in der analytischen Philosophie, S. 58

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LITERATURVERZEICHNIS

Carnap, Rudolf, Meaning and necessity,  The university of Chicago press, 1948

Carnap, Rudolf, Bedeutung und Notwendigkeit,  Springer-Verlag/Wien, 1972

Creath, Richard, Dear Carnap, dear VanThe Quine-Carnap correspondence and related work, Univ. of California press, 1990

Naumann, Ralf, Das Realismusproblem in der analytischen Philosophie, Verlag Karl Alber Freiburg/München, 1993

Quine, W. V. 0., Two dogmas of empiricism, Harvard university press, 1980

Quine, W. V. 0., Philosophy of logic, Harvard university press, 1986

Quine, W. V. 0., Pursuit of truth, Harvard university press, 1990

Quine, W. V. 0., From a logical point of view, Harvard university press, 1980

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